Mindfulness hat es längst auf die Titelseiten der großen Magazine geschafft. Forschungen explodieren seit einigen Jahren und immer mehr Menschen nehmen Achtsamkeitsmethoden in ihren Alltag auf. Doch was ist gemeint, wenn wir von Mindfulness oder Achtsamkeit sprechen? Wie passt Achtsamkeit in unsere heutige Zeit und wie äußert sie sich konkret in Berufs-, und Privatleben? Als Dozent, Autor und Achtsamkeitstrainer integriert Dr. Nico Rönpagel seit etwa zehn Jahren Mindfulness in verschiedene berufliche und kulturelle Bereiche. In einem Interview hatten wir die Gelegenheit tiefe Einblicke in seine Arbeit zu erhalten.
Eins ist klar: Achtsamkeit ist ein Megatrend. Aber was sind die Ursprünge dieses Trends eigentlich? Ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Achtsamkeit führt uns nach Asien zur Philosophie des Buddhismus. Was wir heute Achtsamkeit oder auch Mindfulness nennen, wird mit dem buddhistischen Wort „Sati“ bezeichnet. Eine Übersetzung lautet “Klarheit des Geistes“. In diesem Kontext wird Mindfulness gleichzeitig als Meditationstechnik und Bewusstseinszustand verstanden. Ziel ist ein vollkommen auf die Gegenwart gerichtetes bewusstes Wahrnehmen.
Durch den Molekularbiologen Jon Kabat Zinn erlangte das Thema Mindfulness in den 70-er Jahren auch in der westlichen Welt vermehrte wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Durch positive Ergebnisse von Achtsamkeitsmethoden für die Psychotherapie und Stressbewältigung, fand Mindfulness zunächst Eingang in die moderne Medizin und schließlich auch in unsere Arbeitswelt. Noch heute prägt diese ursprüngliche Definition im Sinne von Kabat-Zinn das breite Verständnis von Achtsamkeit.
Eng angelehnt an diese ursprüngliche Definition von Achtsamkeit der 70er Jahre, erklärt uns Nico, was Achtsamkeit ausmacht: Es ist eine Haltung und ein Prozess zugleich. Vergleichbar mit dem Spielen eines Musikinstruments: Während wir üben zu spielen, spielen wir schon. Außerdem ist Achtsamkeit immer mit einer Ethik verbunden. Es ist nicht nur eine Methode und ein Mentaltraining, sondern auch immer mit zwischenmenschlichen Werten wie Mitgefühl und gegenseitigem Wohlwollen verbunden. Herkunft und Definition von Achtsamkeit wären damit klar. Aber was bedeutet Achtsamkeit für unsere moderne, sich ständig verändernde Welt?
Die Art wie sich Achtsamkeit äußert wächst mit den Veränderungen unserer Zeit. Achtsamkeit findet jeweils neue Ausdrucksformen, um auch in unserer von Fortschritt und Schnelligkeit getriebenen Welt relevant zu sein. Nico erklärt diese Anpassung folgendermaßen:
Nico: „Achtsamkeit wird je nach Ort und Kontext etwas anders verstanden. Als Achtsamkeit verstärkt in den 70er Jahren in die westliche Welt gekommen ist, hat sich ihre ursprüngliche buddhistische Ausdrucksform dem westlichen Denken angepasst. Die Interpretation aus den 70er Jahren prägt bis heute das breite Verständnis von Achtsamkeit. Aber gerade heute leben wir in einer radikal anderen Welt, als vor 40 Jahren. Beschleunigung, Digitalisierung und Komplexität und somit neue Lebenswelten erfordern auch von Achtsamkeit eine Weiterentwicklung und Evolution.“
Beschleunigung, Digitalisierung und Komplexität erfordern auch von Achtsamkeit eine Weiterentwicklung und Evolution.
Dieser Weiterentwicklung wird Nico in seiner Arbeit durch „New Generation Mindfulness“ gerecht. Was sein persönlicher Weg zu Achtsamkeit war, beantwortet er damit, dass das Leben ihn dort einfach so reingeworfen hat, im Alter von 16 Jahren. Zunächst begann alles mit der philosophischen Frage „Wer bin ich und was ist meine Beziehung zu Körper und Welt?“. Heute trägt er diese Achtsamkeit, die er für sich entdeckt hat hinaus in die Welt und beobachtet die positiven Effekte bei Privatpersonen und in Unternehmen:
Nico: „Die Menschen lernen einen Schritt zurück zu machen, sich eine Auszeit zu nehmen und diesen einen extra Atemzug zu machen. Sie verbinden sich mehr mit sich selbst, anstatt ihrem Autopiloten zu folgen und in ihrem Hamsterrad zu sein.
Die Menschen lernen einen Schritt zurück zu machen, sich eine Auszeit zu nehmen und diesen einen extra Atemzug zu machen.
Davon ausgehend verbinden sie sich auch anders mit ihren Mitmenschen und sind mitfühlender sich selbst und anderen gegenüber.” Aber was hat es nun eigentlich mit New Generation Mindfulness auf sich?
Nico: „Achtsamkeit geht viel mehr auf digitale Prozesse, Beschleunigung und die extreme Sinneswelt ein, in der wir heute leben. Ein Beispiel dafür wäre, dass Achtsamkeitsprogramme auch online stattfinden. Wir können neue Technologien, wie zum Beispiel eine App auf unserem Smartphone nutzen, um Achtsamkeit zu üben.
Ein anderer Unterschied, der sich aus meiner eigenen Beobachtung ergibt ist, dass es traditionell vielmehr um Achtsamkeit als individuelle Praxis ging. Heutzutage geht es nicht mehr ausschließlich um uns selbst, sondern auch um eine kollektive Arbeit, ein kollektives Bewusstsein und Erwachen. Darüber hinaus sind vor allem in den letzten zehn Jahren viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Achtsamkeit dazu gekommen, die uns helfen Achtsamkeit besser zu verstehen.“
Wir wollten wissen, wie Achtsamkeit im Privatleben aussehen kann. Doch zum Teil ist Achtsamkeit eben gar nicht sichtbar. Welche Mindful Practices wendet Nico persönlich an?
Nico: „Ich tue einige Dinge, die sichtbar sind. Dazu gehört vor allem meine tägliche Meditationspraxis. In der Vergangenheit gab es auch zehn Jahre intensiver Yogapraxis in meinem Leben. Conscious Dance, Naturerfahrungen oder japanisches Zeichnen gehören auch zu meinen Achtsamkeitsmethoden. Aber viel wichtiger sind die unsichtbaren Dinge, die in meine Art des Wahrnehmens, Denkens und Handelns integriert sind. Dazu gehört beispielsweise aktives Zuhören oder Mitgefühl für mich und andere Menschen im Alltag zu kultivieren.“
Nicht nur in unserem Privaten-, und Businessleben kann Achtsamkeit eine Rolle spielen, sondern auch im öffentlichen Leben oder dabei, wie wir Kultur erleben. Denn auch hier findet Achtsamkeit neue Wege um in der heutigen Welt relevant zu sein. Ein Weg, wie Achtsamkeit unser Leben bereichern kann ist, indem sie hilft unsere Sinne und unser Sein zu öffnen. Was bedeutet das konkret für Nicos Arbeit bezogen auf Musik und Kunst?
Nico: „Ich arbeite mit dem Rundfunk Symphonieorchester zusammen. Vor Konzerten leite ich dort Meditationen an, damit das Publikum gemeinsam ankommt – raus aus dem Kopf, rein in den Körper. So spürt sich jeder erst einmal selbst und das schafft eine besondere Präsenz im Konzertsaal. Auf diese Weise kann die Erfahrung von Musik ein sehr intimes, subtiles und körperliches Erleben sein.
Jeder findet erst einmal zu sich selbst und spürt sich selbst und das schafft eine besondere Präsenz im Konzertraum.
Ähnliches mache ich auch im Kunstmuseum. Es gibt viele Strategien um Kunst nicht nur durch Auge und Kopf zu betrachten. Dazu gehört zum Beispiel, mit geschlossenen Augen durch das Museum zu gehen und Klängen zu folgen. Oder auch dem Atem folgend in Zeitlupe auf ein Bild zuzugehen und wieder zurück. Mit solchen Achtsamkeits-basierten Methoden können wir Kunst und uns selbst nochmal ganz anders erleben.“
Ein so spannendes Thema darf natürlich an einem Tag, an dem sich alles um Mindfulness dreht nicht fehlen. Deswegen wird auch Nico am Reinventing Mindfulness Kongress als einer der Experten anwesend sein. Dieses Interview gibt schon mal einen Vorgeschmack auf das, was euch an diesem Tag erwartet. Also sei dabei und erforsche die neuen Wege der Achtsamkeit in unserer sich ständig verändernden Welt.